Marion Jentsch
Eine schöne Endvierzigerin mit rot gefärbten Haaren und in Geschäftskleidung umfasst mit lackierten Fingernägeln Gitterstäbe. Das Foto auf dem Buchdeckel entstand im Gerichtssaal, in dem Kristiana Waltschewa wie ihre sechs Mitangeklagten zum Tode verurteilt wurde. Es ist die erste Irritation in ihrem Erfahrungsbericht.
Kristiana Waltschewa gehört zu den Medizinern, die am 9. Februar 1999 in Libyen inhaftiert wurden, weil sie angeblich mehr als 400 Kinder in einem Kinderkrankenhaus von Bengasi mit HIV infiziert hatten. Mehrfach zum Tode verurteilt, gefoltert und am 24. Juli 2007 befreit, hat die heute 48jährige ihren Leidensweg niedergeschrieben.
Es ist die Geschichte einer jungen Mutter, die nach Wohlstand und Sicherheit strebte. Wie tausende Bulgaren verließ sie ihre Heimat in schweren Zeiten. Sieben Jahre schien alles gut zu gehen. Feste am Strand, Freunde und ihr ebenfalls später inhaftierter Ehemann Sdrawko bildeten das Zentrum ihres überschaubaren Lebens im "Polizeistaat Libyen", in dem die Männer das alleinige Sagen haben.
Dann der Tag der Inhaftierung, die eine Entführung war. Es beginnt ein langer Marsch durch Gefängnisse und vor Tribunale, lange in Dreck, Gestank, Enge und Hunger. Die Autorin beschreibt Folter und Demütigungen, letztere bald auch durch Mitgefangene. So attackieren die Inhaftierten einander in einer seltsamen Hackordnung, offenbaren seelische Abgründe. Absurde Geschenke - Handarbeiten für die Folterknechte - zeigen das Stockholm-Syndrom. Nein, eine Geschichte von Solidarität und Heldenmut ist es nicht, eher eine von Not, Ekel, Schmerz, Verlorenheit und dem Kampf um ein bisschen Würde. Dass die Autorin selbst wie auch zwei andere Mediziner mit unter Folter erpressten Geständnissen Mitgefangene schwer belasteten, säte Zwietracht und nährte Selbstvorwürfe.
Tagebuchähnliche Eintragungen wechseln mit Rückblicken in die bulgarische, als ärmlich erlebte Vergangenheit. Alles ist recht nüchtern berichtet, Ängste, Tränen, ja Gefühle überhaupt verflüchtigten sich, so dass die Autorin am Ende feststellt: "Ich habe die Fähigkeit zu empfinden verloren." Das Buch, recht schnell mit zwei Mitautoren verfasst, dokumentiert die politischen Verhandlungen und Verwicklungen, die teils in Briefen eingeflochten sind. Versäumnisse, die der bulgarischen Politik über Regierungswechsel hinweg keine Ehre machen, aber auch herausragende diplomatische Leistungen Einzelner, besonders am Ende, legen die Mechanismen der Macht offen. Die dominanteste der Krankenschwestern resümiert: "Die Macht war auf Seiten der Politik und des Geldes. Nicht der Medizin und der Justiz."
Berührend sind die Zeugnisse politischen und humanitären Mutes, so von Marc Pierrini, dem EU-Vertreter in Tunis oder dem britischen Botschafter Sir Anthony Layden. Leider wird kaum auf die beispiellose Solidarität Zehntausender bulgarischer Bürger und vieler Journalisten eingegangen. "Ich bin in der Hölle gewesen" ist das bittere Buch eines Menschen, der ins Mahlwerk der Politk geraten ist und dafür gelernt hat: "Ich habe die Wärme eines freundschaftlichen Wortes gespürt, die kein Pelzmantel je zu geben vermag." (Quelle: Berliner Tageszeitung)
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Kristyana Valcheva: Ich bin in der Hölle gewesen.
Acht Jahre in Libyscher Gefangenschaft - eine Krankenschwester berichtet.
Aus dem Franz. von Thomas Wollermann u.a.
Knaur, München 2007.
267 S., 8,95 Euro.
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