Donnerstag, 5. März 2009

scobel - "Gerechtigkeit"



Themen
aus Kultur und Wissen.

Gast: Prof. Günter Dux, Soziologe.



Deutschland 2009: Bankenmanager, die Hasardeurspiele mit Geld betrieben haben, das ihnen nicht gehörte, um ihren eigenen Profit und den ihrer Bank zu vergrößern, lassen sich vom Steuerzahler aus der Patsche helfen. Plötzlich stehen Summen von 30, 40 oder 50 Milliarden Euro mithilfe weniger Beratungen im Parlament zur Verfügung. Dem steht gegenüber, dass seit Jahren jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut betroffen ist.

Während Kinder aus reichen Elternhäusern in exklusiven Internaten zum Abitur "getragen" werden, sind gerechte Bildungschancen für Kinder aus schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht gegeben. Tatsächlich klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Damit einher geht zwangsläufig nicht nur eine zunehmend ungleiche Verteilung, die mit der Geburt festgeschrieben zu sein scheint, sondern auch zunehmende Ungerechtigkeit.

Doch was bedeutet das genau?
  • Ist "Gerechtigkeit" vor allem ein Kampfbegriff der Schwächeren, die auf Mitleid setzen - wie Nietzsche behauptete?
  • Unter welchen Bedingungen ist Gerechtigkeit überhaupt in einer Gesellschaft zu verwirklichen, in der es immer "Sieger" und "Verlierer" geben wird? "scobel" fragt nach der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft.
  • Ein Schwerpunkt ist dabei die Frage, wie lange die soziale Marktwirtschaft unter Bedingungen einer globalisierten Weltwirtschaft noch existieren kann. Wie wichtig ist Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Gefüge - und wie ist sie umsetzbar?
  • Was bedeutet Gerechtigkeit für das Glücksempfinden des Einzelnen, aber auch für die Tragfähigkeit unseres Systems?
  • Muss die Politik jetzt eingreifen, um den Kapitalismus zu mehr Gerechtigkeit zu zwingen, oder müssen wir im Gegenteil, wie Friedrich Merz, CDU, behauptete, noch "mehr Kapitalismus wagen"?
(Quelle: tvtv.de, 3Sat, 21h)

Fazit: ... sehr interessante Runde, leider wurden die Auswucherungen von Ungerechtigkeit verharmlost. Wenn es heute um soziale Ungerechtigkeiten geht, die u.a. finanzielle, bildungs-, gesundheits- und juristische Aspekte beinhalten, dann darf man die zunehmende "nackte Not" nicht schön reden. Von all den Reden habe ich von den drei Teilnehmern nur jeweils ein Statement in abgewandelter Form in Erinnerung:
  • Person A: der Zugang zu gesesellschaftlichen Leistungen wie Bildung, med. Versorgung, Freizeit, vernünftige Ernährung und ähnlichem wird immer mehr Menschen in den unteren Schichten verwehrt.
  • Person B: Der Mittelstand muss sich bewusst werden, dass er eine Anspruchshaltung entwickelt hat, die die Unterschichten außen vor lässt und aus dem gesellschaftlichen Leben ausklammert.
  • Person C: die Kluft zwischen Unterschicht und Mittelschicht nimmt schneller und deutlicher zu, als die Kluft zwischen Mittelschicht und Oberschicht.
... natürlich wurde noch viel mehr gesagt, aber es kam nur in Ansätzen an die Entwicklung heran, die jedem Sorgen bereiten sollte ... insgesamt wurde das Problem verharmlost. Man merkt der Runde an, dass keiner von ihnen über einen längeren Zeitraum in einer sozialen Einrichtung wie z.B. einem Krankenhaus, Jugend- und Kinderbetreuung, Diakonisches Werk, Altersheim, Gesundheitsamt etc. gearbeitet hat. In dieser Sendung (und in vielen anderen Fernseh- und Medienbeiträgen) werden aktuelle soziale Schieflagen stark abstrahiert und in einem wissenschaftlichen Diskurs derart verunstaltet, dass man meinen könnte, Marsmenschen diskutieren über die gegenwärtige Entwicklung der Menschen.

Besonders die Person, die scheinbar etwas mit der Evangelischen Kirche zu tun haben sollte, präsentierte sich eher wie ein Wirtschaftsvertreter, der die ganze Zeit eine rot-grüne Koalition aus der Vergangenheit die Misere in die Schuhe schob (da müsste man, wenn schon eher bei Bundeskanzler Kohl anfangen). Passte aber leider nicht zu der umfassenden Fragestellung, was Gerechtigkeit eigentlich ist.

Wenigstens wurde das Verhältnis von Politik und Wirtschaft angedeutet, so dass man für sich wenigstens eins paar Fragen ableiten konnte: wie stark ist die Gewichtung für das gesellschaftliche Leben, sind beide gleichberechtigte Institutionen, nutzt die Politik die Wirtschaft als Instrumentarium oder umgekehrt ? Lassen eine fehlgeleitete Wirtschaft und eine falsch verstandene Politik eine Bevölkerung innerlich verbluten ? Sind die sozialen Ungerechtigkeiten in Wirklichkeit nur Symptome einer ausgehöhlten Gesellschaft, die sich den Ernst der Lage überhaupt nicht bewusst ist, je nachdem welcher Schicht man sich zugehörig fühlt !

Dem Soziologen muss man zugestehen: zu keiner Zeit dieser Welt gibt es ein allgemeines Empfinden unter den Bürgern, dass es gerecht zugeht. Auch ist immer nur der eigene Rahmen relevant, in dem man sich bewegt und Ungerechtigkeiten fühlen und bewerten kann. Die Runde hätte ich mir aufgrund von Mangel an neuen Erkenntnissen und Lösungsansätzen sparen können. Vielleicht wäre da ein Gespräch des Moderators mit nur einer Person von den dreien nützlicher gewesen.

  • Die Gerechtigkeit ist ohnmächtig ohne die Macht; die Macht ist tyrannisch ohne die Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit erfährt viel Widerspruch, wenn sie keine Macht hat, weil es immer böse Menschen gibt; die Macht wird angeklagt, wenn sie nicht gerecht ist. Man muß also die Gerechtigkeit und die Macht vereinigen, und dazu muß man bewirken, daß das mächtig sei, was gerecht ist, oder daß gerecht sei, was mächtig ist. (Pascal)

Das Wort "böse" im Zusammenhang mit einer menschlichen Eigenschaft ist schon fast aus dem Vokabular des modernen Menschen gestrichen. Finde ich persönlich gut, weil in der Vergangenheit zuviel religiöser Wahn damit betrieben worden ist. Trotzdem sollte man eine ungefähre Vorstellung von dem haben, was ersatzweise als "böse" bezeichnet werden kann. "Böse" ist z.B., wenn einer willentlich und wissend mit sehendem Auge oder mit "hörendem Ohr" einem anderen Ungerechtigkeiten zufügt oder zulässt. Bösartigkeiten fangen bei "Tratschereien" an, setzen sich in "Rufmord" fort und hören bei "Mord" auf.

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