Samstag, 12. September 2009

Histologie

Lehrbuch der Cytologie, Histologie und
mikroskopischen Anatomie des Menschen

Unter Berücksichtigung der Histophysiologie

Nach der US-amerikanischen Ausgabe von

L.C. Junqueira
J. Carneiro

Übersetzt und, überarbeitet und ergänzt von

T.H.Schiebler
Ulrich Peiper
Friedhelm Schneider

Zweite, korrigierte Auflage

Mit 531 Abbildungen

Springer Verlag

Berlin
Heidelberg
New York
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Paris
Tokyo

Einführung

Die Histologie ist die Lehre von Geweben. Die mikroskopische Anatomie beschäftigt sich mit dem Feinbau der Organe und mit den Wirkungsgefügen des Organismus. Gemeinsame Grundlage ist die Cytologie, die Lehre von den Zellen.

Zahlreiche Gewebsfunktionen sind an morphologisch nachweisbaren Strukturen gebunden und werden erst durch sie verständlich. Verbindung zwischen Histologie und Physiologie stellt die Histophysiologie her.

Alle genannten Gebiete behandelt dieses Buch. Der Untersuchung zugängig sind Zellen und Gewebe sowie der Feinbau der Organe und Wirkungsgefüge nur dann, wenn vergrößernde Instrumente, Mikroskope, verwendet werden, denn das bloße unbewaffnete menschliche Auge reicht in der Regel nicht aus,, Einzelheiten der lebendigen Materie zu erkennen.

Die Entdeckungsgeschichte der hier behandelten Teilgebiete der Medizin beginnt im 17. Jahrhundert und ist u.a. an die Namen von
  • van Leeuwenhoek (1632-1723)
  • Malpighi (1628-1694)
  • Grew (1641-1711)
geknüpft.

Insbesondere war es Antonie van Leeuwenhoek, der die Vergrößerungen seiner selbst geschliffenen Linsen benutzte, in die bisher unbekannte Welt der kleinen Teile zu blicken. Immerhin gelang es ihm, mit seinen sehr einfachen Instrumenten die Blutkörperchen, und einem seiner Schüler, die Spermien zu entdecken.

Doch insgesamt war der Fortschritt auf dem Gebiet der Mikroskopie zunächst gering und blieb bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ganz im Schatten der älteren Schwester, der makroskopischen Anatomie. Dann aber mit Beginn des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Szene vollständig.

Von entscheidender Bedeutung, damals wie heute, ist für den Fortschritt auf den zur Rede stehenden Gebieten das Zusammenwirken von wissenschaftlicher Erkenntnis und technischen Fortschritts. Beides befruchtet sich gegenseitig.

tobeco

Während einerseits neue Einsichten häufig erst durch die Weiterentwicklung der Geräte möglich sind, stimulieren andererseits neue Fragestellungen die Ausarbeitung neuer Technologien. Das Instrumentar in der Histologie heute reicht vom einfachen Lichtmikroskop bis zum Hochspannungselektronenmikroskop und zu komplizierten computergestützten Bildanalysenelemten.

Für histologische Untersuchungen ist außer den Instrumenten eine angemessene Vorbereitung des Untersuchungsgutes von größter Wichtigkeit, denn nur in den seltensten Fällen kann lebendes Gewebe unmittelbar untersucht werden. Unbehandeltes Gewebe unteriegt nämlich einem Selbstzerfall (Autolyse), sobald es den Zusammenhang, sobald es den Zusammenhang mit dem lebenden Organismus verloren hat oder nach dessen Tod. Deswegen beschäftigen sich die ersten Artikel dieses Buchens auch eingehend mit den Grundlagen der histologischen Präparationstechnik !

Die moderne Gewebelehre beginnt mit Bichat, der 1801 in Paris sein berühmtes Buch "Anatomie general" veröffentlichte. Bichat erkannte als erster die Bedeutung der Gewebe für Bau und Funktion der Organe und fand, dass Beziehungen zwischen Gewebeveränderungen und Erkrankungen bestehen.

Den mehr theoretischen Erörterungen Bichat's folgte bald (1838, 1839) - ermöglicht durch die technischen Fortschritte im Mikroskopbau - als eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Leistungen der Biologie des vergangenen Jahrhunderts die Entdeckung der Zelle als Baueinheit aller Pflanzen und Tiere durch Schleiden (Botaniker, 1810-1882).

Der Begriff "Zelle" allerdings stammt von Robert Hooke, der 1665 beobachtete, dass pflanzliches Gewebe aus winzigen "Kästchen", von ihm als cells (Zellen) bezeichnet, aufgebaut ist. In Weiterentwicklung des Prinzips der zelligen Organisation der Lebewesen wurde bald erkannt, dass Zellen sich selbst erhaltende Funktionseinheiten sind.

Als Begründer der Zellphysiologie gilt Albert von Koelliker (Anatom, 1817-1905), der in der ersten Auflage seines Handbuchs der Gewebelehre (1852) schrieb: "Die Zelle muss als anatomische und physiologische Einheit als wirklich organische Grundform festgehalten werden, die sich durch eigene Tätigkeit erhält und weiterbildet".

Erweitert wurde dies durch Rudolf Virchow (Pathologe, 1821-1902), der herausfand, dass Krankheiten auf Störungen im Zellgeschehen zurückgehen. Rudolf Virchow entwickelte die Zellularpathologie. Er formulierte: "Die Zelle ist wirklich das letzte Formelement aller lebendigen Erscheinungen, sowohl im Gesunden als auch im Kranken, von welcher alle Tätigkeiten des Lebens ausgehen" und weiter "omnis cellula e cellula".

Dann wieder Koelliker: "Auch die Zwischensubstanz aller Art, mögen sie nun geformte Teilchen enthalten oder nicht, haben ihr Recht und erst aus Ermittlung der Leistungen aller Bestandteile des Körpers und ihrer mannigfaltigen Wechselwirkungen wird am Ende eine volle Erkenntnis der Lebensvorgänge und ihrer Störungen entstehen."

Von hier aus entfalten sich, getragen von der Arbeit vieler Gelehrter, die Zellen- und Gewebelehre sowie die mikroskopische Anatomie zu eigenständigen Forschungs- und Lehrgebieten. Sie gehören heute zu den wissenschaftlichen Grundlagen der Medizin und haben für die ärztliche Praxis größte Bedeutung, denn die Diagnose vieler Erkrankungen ist nur durch die histologische Untersuchungen von Gewebeproben möglich.

Für das Verständnis der heutigen Cytologie, Histologie und mikroskopische Anatomie ist ihre Denkweise von großer Bedeutung. Im 19. Jahrhundert galt als gesichert, dass alle Lebenserscheinungen an festgelegten Strukturen gebunden seien. Diese sehr statische Anschauung wurde jedoch mit Beginn des 20. Jahrhunderts in dem Maße unhaltbar, in dem sich das methodische Spektrum erweiterte, z.B. durch Erfindung der Gewebekultur oder durch Entwicklung indirekter Methoden zur Gewebeuntersuchung, z.B. der Polaristationsmikroskopie. Dabei zeigte sich, dass auch mikroskopisch erkennbare Strukturen einem dauernden Umbau unterworfen. Entwickelt wurde die jetzige gültige Vorstellung einer dynamischen Bauweise der lebendigen Materie.

Diese Hypothese basiert auf der Vorstellung, dass sich alle Teile der Zellen und Gewebe nie in einem stationären ....


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