Donnerstag, 24. Juni 2010

Gestern nach Schichtende um 22h wusste ich nicht, ob ich "Männeken oder Weiblein" bin. Am Ausgangstor vom VW-Werk  schaute mich die Frau vom Sicherheitsdienst an und wusste Bescheid: "Dieser Neuling hat seinen ersten Tag hinter sich, jetzt weiß er Bescheid, was Arbeit bedeutet !"

Schon in der Halle angekommen, herrschte beim Schichtführer nicht gerade beste Laune. Deutschland spielte bald, und ausgerechnet an diesem Tag musste er arbeiten. Aber auch die meisten der anderen Mitarbeiter waren nicht begeistert.

Die blonde Sekretärin von der Zeitarbeiterfirma hatte mir direkt einen "Blaumann" + Sicherheitschuhe mit richtig langen Stahlkappen als "Willkommensgeschenk" überreicht. Nach dem Umziehen wurde ich direkt an einen Arbeiter verwiesen, der mich erst mal anlernte, ich taufe ihn auf den Namen "Joe" => direkt ins kalte Wasser geschmissen: "Learning by doing". Eine zeitlang neben ihm hergelaufen, Sachen angereicht, um erst mal den Prozess kennenzulernen (nach Dienstschluss die ersten Blasen seit langem unter den Füßen bekommen)

Am Anfang nur Bahnhof verstanden
  • erst mal mit einem Niederflur-Hubwagen fahrbahre Eisengestelle mit Seitenfächern holen
  • in der Kommissionierungbude entweder weiße oder blaue Aufttragszettel, je nachdem ob es sich um Vorder- und Hintersitze handelt, "getuckert" und am Hubwagen befestigt
Warengang:
  • links  die geraden Zahlen, rechts  die ungeraden
er sagt laut an:
  • die 1-2 in die 3,6,8,9 (=Fächer vom Eisengestell)
  • die 1-17 in die 4,6
  • usw.
hierbei handelt es sich um
  • kurze und  lange Polster
  • Sitzgestelle, klein und groß (bis ca. 5kg schwer)
monotoner Vorgang:
  • Vorder- und Rücksitze heraushieven und in die Eisengitter nach Plan einordnen
  • leer gewordene Kunststoffboxen knicken und abdecken
  • leer gewordene  Eisengitter zusammenklappen (manchmal gar nicht so einfach, wenn die Seitentüren klemmen)
erst dann kann der Gabelstapler für Nachschub sorgen
  • (man hegt insgeheim den Wunsch, dass der Gabelstapler keinen Nachschub mehr hat, leider wird einem dieser Wunsch nie erfüllt !)
wenn das Eisengestelll voll ist, die Seitenstangen herunterklappen, damit die Ware in der Kurve nicht herausfliegt
  • zur Station fahren, wo die Sitzbezüge an Bügeln an einer Laufstange hängen
  • auf den Kommissionierungszettel nach der Laufnummer schauen
  • 2 mal 5 Sitzbezüge abhängen und an zwei vorgesehene Stangen vom  Eisengestell anhängen
  • jetzt ist das Eisengestell vollständig mit Ware beladen
Eisengestell mit Hubwagen zur Seite fahren, damit sie von einem Kontrolleur überprüft werden kann.
  • Die Sitzbezüge werden mit einer großen Plastikfolie eingehüllt, damit sie beim weiteren Transport zum LKW nicht "herumschlackern" und vor Staub geschützt sind
abgearbeiteten Kommissionierungsschein in Papierfächer ablegen
  • mit Hubwagen in die andere Halle fahren, wo LKWs die Eisengestelle abladen und wo die Kommissionierungsbude mit den Scheinen stehen.
  • Dann beginnt der Prozess von vorne
die eigentliche Schwierigkeit liegt darin:
  • man muss ein Affentempo beibehalten, da sonst der Hintermann ebenfalls in Verzug kommt !
  • alle Schritte sind aufeinander abgestimmt, wenn einer "versagt" oder "klüngelt" dann kommt alles ins Stocken
man muss genau darauf achten, welchen Schritt man macht, die Gabelstapler fahren mit einem Höllentempo an einem vorbei, quer durch alle Gänge und Hallen !
  • die Unfallgefahr ist immer gegeben, durch schwere Lasten, die gehoben, transportiert und verladen werden
manchmal sind Kisten unvollständig, dann muss man genau wissen, aus welcher Kiste man "vorklauen" kann, um den Ablauf nicht zu unterbrechen

zwischendurch herrrscht ein rauher Umgangston:
  • ein Gabelstapler sagt zu Joe, weil er sich mal in der Eile zwischen seinem Hubwagen und einer vom Gabelstapler zu hebenden Last gestellt hat (=ca. 1m Abstand) => "Wenn du das nächste mal noch mal machst, dann kracht es aber !" 
  • Auf Anfrage beruhigt Joe micht: "Keine Sorge, dieser Ton ist ganz normal"
wenn du die Schritte so langsam drauf hast, dann besteht die Schwierigkeit darin:
  • die Arme werden schwer, trotzdem musst du das Tempo beibehalten !
  • du wirst müde und hungrig und musst dich trotzdem konzentrieren !

Nach einer gewissen Zeit frage ich, weil ich voll Hunger bekomme:
  • "Wann ist denn bitte Pause"
"In ca. 2 Stunden !"
  • "Wie bitte, jetzt sind erst zwei Stunden vergangen ?"
In einer kurzen Zigarettenpause lerne ich meine beiden Mitarbeiter, denen ich zugewiesen wurde, näher kennen.
  • Sie haben von allen in dieser Abteilung die schwerste Arbeit
Die leichteste, haben die Gabelstapler, die sich sicherlich kein Bein ausreißen, da sie ständig auf einem gefederten Sitz hocken.
  • Dafür tragen sie eine hohe Verantwortung wegen schwerer Lasten und zentimentergenauer Platzierung der Ware und Arbeitsgeräte
Der eine ist gelernter Koch, der andere Restaurantfachmann.
  • Beide kommen ebenfalls von einer Zeitarbeiterfirma und arbeiten schon seit ca. 2-3 Jahren in dieser Abteilung in diesem einem Warengang !
  • Beide gehen am Wochenende noch woanders arbeiten, da sie bis jetzt noch keinen Festvertrag bekommen haben, aber mit dem Verdienst von der Zeitarbeiterfirma ihre Familie nicht  ernähren können.
  • Insgesamt wirken sie etwas motivierter als die 1-Euro-Jobber, glücklich ist aber etwas anderes !

In der Pause begibt sich der größte Teil der Belegschaft in den Pausenraum und packt erst mal die Butterbrotdosen aus:
  • das sind keine Butterbrotdosen sondern eher kleine Umzugskartons mit Lebensmitteln gefüllt !
  • Ein Arbeiter begrüßt mich ganz herlich: "Na Zwillingsbruder, alles frisch ?" ;-)

Nach der Pause geht's weiter mit dem Trott in unverminderter Geschwindigkeit !
  • Ein kleiner Trost: es wurde ein kleiner Fernseher in Nähe der Baracke von der Schichtleitung hingestellt, so dass man hin und wieder einen Blick auf das Fußballspiel Deutschland vs. Ghana werfen konnte. 
  • Es war auch ein bisschen klar, dass das ohnehin schon hohe Affentempo ein wenig gesteigert wurde, um wenigstens ein paar Minuten herauszuholen, um das Spiel schauen zu können 
=> tja, und ausgerechnet an diesem Tag war mein Einstand im VW-Werk als "Zeitarbeiter"

Fazit:

Herzlich willkommen in einem Konzern auf der untersten Stufe, vermittelt durch Sklavenfirmen, die im Volksmund im neutralen Sinne als "Zeitarbeiterfirmen" bekannt sind !
  • Direkt zwei große Butterbrotdosen randvoll mit Proviant gefüllt, um nicht vor Schwäche umzufallen !
  • Linker Ellenbogen lädiert durch Stoßen an einem Eisengitter
Irgendwie muss man sich trotz allem motivieren und ein Ziel setzen. Mein Ziel heißt, das Ganze als sportliche Herauforderung  anzusehen, bei dem man
  • bei hohem Tempo sich trotzdem konzentrieren muss
und
  • vielleicht bei richtiger Körperhaltung seine Muskulatur kräfigt !
  • (momentan ein wenig Rückenschmerzen !)
Ansonsten sehe ich keinen geistigen, wissensmäßigen oder mentalen Fortschritt bei dieser monotonen Arbeit in einem kleinen Bereich eines automatisierten und logistisch exakt geführten  Betriebs.

Trotzdem sagt die Ameise in einem großen Ameisenstaat: 

Ohne Fleiß kein Preis !


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