Montag, 29. November 2010

Kontinente - Das Missio Magazin

November - Dezember 2010


Zitat:

Bitter: Immer mehr junge Menschen wollen der Realität entfliehen.


 http://www.freitag.de/datenbank/freitag/2010/10/paco-argentinien-drogen-slums-buenos-aires/images/6.jpg 

ARGENTINIEN

Paco, der "Armen-Killer"

"Paco mata" - Paco tötet, steht auf unzähligen Hauswänden der argentinischen Hauptstadt Buonos Aires. Vor allem Jugendliche greifen immer häufiger zu der gefährlichen Billigdroge. Hoffnungslosigkeit und mangelnde Zukunftsperspektiven in den Elendsvierteln treiben immer mehr Menschen in die Sucht.
"Uns interessiert überhaupt nichts mehr", sagt Gallego. "Ich stehe auf und rauche Paco." Im Hintergrund dröhnen die Motoren der Langstreckenbusse, die im belebten Nordbahnhof ein- und ausfahren. Gallego sitzt auf dem Gehsteig auf einem Stück Karton, gleich neben dem Eingang eines berüchtigen Armenviertels in Buonos Aires.

Gallego sitzt auf einem Gehsteig auf einem Stück Karton, gleich neben dem Eingang eines berüchtigten Armenviertels in Buones Aires. Hier gehört "Paco" zum Alltag. Hinter diesem Kürzel verbergen sich Neben- und Abfallprodukte der Kokainherstellung, gestreckt mit 
  • Putzmittel
  • Antibiotika
oder
  • Rattengift.
Paco, das lediglich ein paar Pesos kostet, grassiert in den Slums Südamerikas und wird deswegen auch als "Armen-Killer" bezeichnet. Bleich sind sie, abgemagert. "Lebende Tote" nennt man die Abhängigen. Sie haben offene Wunden und aufgeplatzte Lippen. In kürzester Zeit ist der Konsument ein Wrack. Paco attackiert
  • Lunge,
  • Herz,
und
  • das Gehirn.
Viele  Süchtige leiden unter Psychosen; die meisten werden gewalttätig. Je nach Abhängigkeitsgrad braucht ein Paco-Raucher zwischen 50 und 150 Portionen pro Tag. Beschaffungskriminalität ist die Folge. Nicht wenige verlieren dabei ihr Leben, werden erschossen. Andere sterben an körperlichem Verfall.

Einem Mitarbeiter der staatlichen Drogenbekämpfungsstelle SEDRONAR zufolge sterben in Argentinien jeden Tag sieben Paco-Süchtige; Zehntausende sind von der Droge abhängig. Experten schätzen, dass in manchen Armenvierteln mehr als 50 Prozent der jungen Menschen rauchen.

In Argentinien greift Paco erst seit in paar Jahren um sich - seit es im Land Kokainküchen gibt. Auf Empfehlung der Vereinten Nationen wurde in Kolumbien, Peru und Bolivien die Einfuhr von Chemikalien zur Kokainherstellung erschwert, woraufhin die Drogenmafia Teile ihrer Produktion in die Nachbarländer verlagerte. Die Wirtschaftskrise von 2001, die Arbeitslosigkeit und Armut brachte, ließ ebenfalls viele in ihrer Verzweiflung zu der  damals unbekannten aber billigen Droge greifen.

Die argentinische Regierung ist alarmiert und rief ein Expertenteam ins Leben, um unter anderem die Betreuungsangebote für Paco-Abhängige zu analysieren. Jenen, die alltäglich mit der Droge konfrontriert werden, reicht das jedoch nicht. "Der Staat ist abwesend", beklagt die Bewegung "Priester für die Dritte Welt". Die katholischen Geistlichen kämpfen in den Armenvierteln an vorderster Front gegen Paco und verlangen, die Droge als nationales Problem zu erkennen. kna/mw


S ta n d p u n k t
 
 Michael Kuhnert, 49:
 
http://www.dasbruckner.de/uploads/pics/C_Mike_Kuhnert.jpg
Argentinien-Referent
bei Adveniat in Essen

Der dramatisch ansteigende Konsum der Abfalldroge "paco" unter armen Jugendlichen Lateinamerikas hat mehr strukturelle als individuelle Ursachen:
  • Sie werden systematisch ausgegrenzt, die Teilhabe an einem Leben in Würde wird ihnen verweigert. 
Sie sind "excluidos", Ausgeschlossene.

Der Zugang zu
  • adäquater (Aus-) Bildung,
  • Gesundheitsfürsorge,
  • menschenwürdiger Unterkunft und Arbeit,
  • Kultur und Freizeit
bleibt für sie verschlossen.

Sie nehmen sich in der Gesellschaft als überflüssig, unerwünscht und chancenlos wahr. Die innere Widerstandskraft gegen Drogen bricht unter solchen Lebensumständen schnell zusammen. Nach der ersten Kippe "paco" werden sie
  • stehlen,
  • überfallen,
  • ihre Körper und Mütter verkaufen,
nur um an den nächsten Zug zu kommen.

Ein, zwei Jahre später werden sie entweder von Krämpfen geschüttelt in den Hütten ihrer Mütter vor sich hin vegetieren oder in irgendeiner Gasse verbluten. Und die Kugel, die sie tötet, wird für viele "ehrbarer Bürger" wertvoller sein, als das Leben, das sie auslöscht. Für die politischen Entscheidungsträger ist das Problem dann erledigt.

Wege in Leid und Tod


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