Dienstag, 11. Mai 2010

Ronald Wiegand - Geist und Psyche - Gesellschaft und Charakter

Soziologische Implikationen der Neopsychoanalyse

von Erich Fromm 

über Karen Horney 

zu Harry Stack Sullivan

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Ronald Wiegand
  • 1937 in Berlin geboren
  • Professor für Soziologie und Sozialpsychologie an der Freien Universität Berlin,
  • geht in diesem dem durch Persönlichkeitsstörungen entstehenden Ohnmachtsgefühle nach, das in der bürgerlichen Gesellschaft viele Menschen daran hindert, sich gegen Verhältnisse gesellschaftlicher Ungleichheit selbstbewusst und mit angemessenen Mitteln zu wehren.
Was die Psychotherapie im Sinne der Neopsychoanalyse zur Lösung dieses Problems beitragen kann, untersucht der Autor am Beispiel Erich Fromms, Karen Horneys und Harry S. Sullivan.


INHALT

Vorwort

Einleitung
  • die Aufhebung des entfremdeten Bewusstsseins als offenes Problem marxistischer Praxis

KAPITEL I
  • Die Bestimmung des Verhältnisses von Politik und Psychoanalyse bei Erich Fromm

KAPITEL II

Die Revision der Psychoanalyse durch Karen Horney.
  • Der frühindustrielle Mechanizismus in Freuds Triebtheorien
  • Das Fehlen einer historischen und kulturell-vergleichenden Perspektive: Ödipuskomplex, Penisneid, Todestrieb
  • Therapie als Archäologie - Reisen in die Vergangenheit

KAPITEL III

Karen Horneys Wendung von der Triebmythologie zur Kulturpsychologie
  • Die Instanzlehre bei Freud: Gott, Teufel, die Welt und der schwache Mensch
  • Die Deutung des Masochismus als Prüfstein einer motivorientierten Psychologie
  • Die Therapie neurotischer Störungen. Von der Symptombehandlung zur Persönlichkeitsbildung

KAPITEL IV

Jenseits der Neurosen - H.S. Sullivans Vorstoß in psychoanalytisches Niemandsland
  • Das schizophrene Erlebnis als böser Traum
  • Schizophrenie, Paranoia, Hebephrenie - Wege einer Krankheit
  • Klinikorganisation als therapeutisches Arrangement
  • Sozialpsychiatrische Anmerkungen Sullivans zur Gesellschaftsordnung der dreißiger Jahre

KAPITEL V

Theorie und Therapie bei H.S. Sullivan oder Erkenntnis und Interesse
  • Der Mensch als Individuum - ein Fisch ohne Wasser

KAPITEL VI

Auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg - Unsicherheit und Radikalismus
  • Sullivans psychiatrische Beiträge zur "totalen Verteidigung" des Landes gegen den Faschismus
  • Sozialpsychiatrische Perspektiven für Wiederaufbau und Friedenssicherung nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

KAPITEL VII
  • Der lange Weg

Anmerkungen

Literaturhinweise

Namen- und Sachregister


Vorwort

In diesem Buch gehe ich der Frage nach, welchen praktischen Beitrag eine den Pionieren der Tiefenpsychologie verpflichtetet, jedoch über deren historische und persönliche Beschränkungen hinausentwickelte Psychotherapie leisten kann bei der Aufhebung jenes gesellschaftlichen Entfremdungszusammenhangs, den Marx und Engels vor allem unter Gesichtspunkten der politischen Ökonomie analysiert haben.

Die wissenschaftlichen Beiträge der dargestellten Autoren - Erich Fromm, Karen Horney, Harry Stack Sullivan - stehen aus meiner Sicht in einem Ergänzungsverhältnis.
  • Fromm hat als einer der ersten den systematischen Stellenwert der Psychoanalyse im Rahmen der historisch-materialistischen Gesellschaftstheorie zu bestimmen versucht;
  • Horney hat die allzu begrenzte Wirksamkeit des von Freud entwickelten psychoanalytischen Therapiemodells aus der Perspektive der praktisch tätigen Therapeutin aufgezeigt;
  • Sullivan hat durch die erfolgreiche Anwendung modifizierter psychoanalytischer Behandlungstechniken gezeigt, dass auch die Wahnwelt der Psychosen dem psychologischen Verständnis zugänglich gemacht werden kann, und er hat seine tiefreichenden Erfahrungen zu einer Persönlichkeitstheorie verarbeitet, die den sozial bezogenen Charakter aller menschlichen Verhaltensweisen in neuartiger Weise sichtbar macht.
Sullivans schriftliches Werk stelle ich in größerer Breite als das Fromms und Horneys dar, um das deutschsprachige Publikum mit seinem Denken aus soziologischen Blickwinkel vertraut zu machen.
  • Bisher liegt an ausführlicheren deutschsprachigen Untersuchungen über Sullivan, soweit ich sehe, erst die Studie von Josef Rattner, die "Psychologie der zwischenmenschlichen Beziehungen" (Olten 1969) vor, in deren Mittelpunkt die systematische Entwicklungspsychologie Sullivans steht.
Bei der Darstellung der zwischenmenschlichen Beziehungsmuster, die das Bild der neurotischen und psychotischen Persönlichkeitsstörungen ergeben, stütze ich mich unterhalb der theoretischen Kenntnissse tiefenpychologischer Literatur auf praktische eigene Erfahrungen, die ich im Rahmen einer neopsychoanalytisch orientierten Charakteranalyse und durch die über dreijährige Mitarbeit in den von Josef Rattner in Berlin aufgebauten Therapiegruppen gewonnen habe.
  • Die Verwendung der Wir-Form in den folgenden Kapiteln soll zum Ausdruck bringen, dass ich die darin geäußerten Gedanken nicht als meinen alleinigen geistigen Besitz betrachte, sondern als den persönlichen Niederschlag gemeinsamer Arbeit, sei es auf der Ebene der theoretischen Diskussion oder des menschlich gewinnbringenden Gesprächs im Rahmen der genannten Gruppen.
1969/70 hatte ich mehrfach Gelegenheit, in zwei geschlossenen Abteilungen der II. Psychiatrisch-Neurologischen Klinik der Freien Universität Berlin zu hospitieren und mir persönliche Eindrücke von den schweren Verhaltensstörungen zu verschaffen.

Berlin, Mitte 1971    Ronald Wiegand

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