Mittwoch, 9. Dezember 2009

Geschichte der Rechtsmedizin an der Universität Gießen

entnommen aus:

uniklinikum-giessen.de



von
Prof. Dr. rer.nat. Harald Schütz,
Dr.med. Marcel A. Verhoff
Prof. Dr.med. Günter Weiler

Zitat:

[...]

Bostroem selbst aber forderte 1925 die Errichtung einer Professur für Gerichtliche Medizin und eines dazugehörigen Institutes, da er die Vertretung des Faches Gerichtliche Medizin, die er „nur auf dringenden Wunsch der Regierung . . . recht ungern übernommen“ hatte, als unbefriedigend ansah. In seinem Antrag geht er ausführlich auf seine Bemühungen ein, den Unterricht in der Gerichtlichen Medizin lebendig zu gestalten.

Trotzdem“, so schreibt er, „hat mich dieser Unterricht doch insofern nie befriedigt, als er eben ein Notbehelf und ein recht beschränkter bleiben musste und den Anforderungen nicht genügen konnte, die man von der modernen gerichtlichen Medizin mit Recht zur Zeit verlangt und die durch die Errichtung selbständiger Lehrstühle und besonderer Institute für die gerichtliche Medizin an fast allen anderen Universitäten augenfällig in Erscheinung treten.
  • Niemand hatte das unangenehmer und peinlicher empfunden als ich selbst und nur die Ungunst der Verhältnisse hat mich bisher davon abgehalten, die Errichtung einer selbständigen Professur nebst dem dazu gehörigen Institut zu beantragen.
  • Durch die Einführung der neuen Prüfungsordnung vom 5. Juli 1924 ist nun aber diese Frage akut geworden . . .“
Die Prüfungsordnung aus dem Jahre 1924 sah erstmals eine Prüfung in Gerichtlicher Medizin vor und verlangte dabei von dem Prüfungskandidaten den Nachweis, dass er auch in den für den praktischen Arzt wichtigen Fragen
  • der Versicherungsmedizin,
  • der Gutachtenerstattung
  • der Rechts- und Berufskunde
ausreichend unterrichtet sei.
  • Mit Recht nahm Bostroem diese Neuordnung zum Anlass, die Errichtung eines Gerichtsmedizinischen Lehrstuhls zu fordern.
  • Die Fakultät schloss sich dem Antrag an, es gelang aber nicht, das Ministerium zur Errichtung eines solchen Ordinariats zu bewegen.
Dabei gab es damals Gerichtsmedizinische Lehrstühle bereits an den meisten deutschen Universitäten, in Kiel z. B. schon seit 1861, in Berlin seit 1864.
  • Viele Gerichtsmedizinische Lehrstühle und Institute waren in Deutschland etwa um die Jahrhundertwende errichtet worden, nachdem die Gerichtliche Medizin bis dahin meistens als ein Zweig der „Staatsarzneikunde“ betrachtet, und im Rahmen dieses Faches gelehrt worden war.
[...]

Erst 1964 war es möglich, an der Justus Liebig-Universität einen Lehrstuhl für Gerichtliche Medizin zu errichten, nachdem sich insbesondere auch der damalige Inhaber des Lehrstuhls für Pathologie, Walter Sandritter, mit der Fakultät nachhaltig dafür eingesetzt hatte.

[...]

Mit der Änderung der Lebensformen insbesondere nach dem letzten Krieg hatte sich auch die Kriminalität gewandelt.
  • Immer häufiger waren Fälle aufzuklären, bei denen die morphologischen Erfahrungen früherer Generationen wenig nützte.
  • Das Bild des Giftmordes (man denke in diesem Zusammenhang an den E-605-Mordfälle) stellte sich vielfach anders dar, als im vergangenen Jahrhundert.
Ohne modernste chemisch-toxikologische und serologische Untersuchungsmethoden war eine befriedigende Aufklärung vieler Todesfälle überhaupt nicht mehr möglich.
  • Hierzu gehören geeignete apparative Voraussetzungen, vor allem aber eine gut eingerichtete und für spezielle kriminalistische Fragestellungen arbeitende chemisch-toxikologische Abteilung.
[...]

weitere Stichpunkte:
  • histologische Untersuchungen und Spurenuntersuchungen,
  • Blutalkoholforschung und für serologische Untersuchungen.
  • im Kellergeschoß ein Sektionssaal
  • Nachweis von Giften serologische Untersuchungen,
  • photographische Dokumentation,
  • Identifizierungsverfahren,
  • kriminalistische Spurenuntersuchungen

Prof. Dr.med. Oskar Grüner:
  • Trinitrotoluol-Anämie
  • "Validität von Atemalkoholmessungen"

Schwerpunkte der „Gründerzeit
  • Einflüsse verschiedener Parameter (z.B. Koffein, Nikotin, Sauerstoff u.a.) auf den Verlauf der Blutalkoholkurve und die Rückrechnung,
  • Untersuchungen zur Schädelidentifizierung + zu ungewöhnlichen Schussapparaten
  • Herstellung von Alkohol in Strafanstalten (s. Abendgespräch mit Allrounder & ehemaligen Knasti Tosh)
  • Einflussgrößen auf die Leistungsfähigkeit (z.B. PKW-Innengeräusche, Tag- und Nachtrhythmen, ungünstige Beleuchtungsverhältnisse,
  • Schwangerschaft,
  • Ermüdung,
  • besondere Anforderungen an Zweiradfahrer

Weitere Schwerpunkte bildeten
  • Probleme der Ausbildung von Berufskraftfahrern
  • statistische Untersuchungen zur Beteiligung von Ausländern, Soldaten, Frauen, Rentnern, Fahrrad- und Mofafahrern an Alkoholdelikten in Mittelhessen
  • Diaserie “Alkohol am Steuer“ für die Fahrschulausbildung

forensischen Toxikologie:
  • allgemeine Suchanalyse (general unknown)
  • Datendokumentation

Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde neben anderen Substanzen die gerade auf dem Arzneimittelmarkt erschienene Wirkstoffklasse der Benzodiazepine analytisch untersucht.

[...]

Fazit:

Das Fazit der Analyse besagt, dass wenn in einem Rechtssystem über 4.000 Langzeitfälle unschuldig im Gefängnis sitzen und Staatsanwälte sich weigern, die Fälle neu aufzurollen, dann sollte man/frau so langsam anfangen, selbst in einem für die Welt vorbildlichen Rechtssystem, Fragen zu stellen, kritische Fragen => allerspätestens hier endet der Spruch: "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold !!!

Selbst in einem Land, wo die Bildzeitungsmentalität stetig zunimmt (Zitat CDT), gibt es hoffentlich noch Menschen, die differenziert und analytisch denken können ! Wenn ein allgemeiner Wertefall innerhalb einer Gesellschaft schleichend (=stetig) voranschreitet, dann bleibt beispielsweise weder ein Gesundheits- noch ein Rechtssystem davon verschont, obwohl letzteres mit anderen Institutionen dagegen ankämpfen muss (=Obligation) !

Zeitmangel, ungenügende Finanzierung von wichtigen Schaltstellen und das Verdecken von Machenschaften begünstigen ein Klima, wo alle wegschauen (s. ehemalige DDR, fast alle kommunistisch regierten Länder, Diktaturen. Gewaltherrschaften, religionsgeführte Staaten, Tyrannen in Regierungen, in Familie, auf dem Arbeitsplatz und in Vereinen, uvm.). Irgendwann denken Menschen in diesen Systemen, das alles sei ganz normal: Wegschauen ist eine Volksdisziplin geworden, in der jeder jeden überbietet und sich wohlfühlt, solange er selber nicht betroffen ist !

"Wegschauen" äußert sich auch in mündlichen und schriftlichen Kommentaren von Verantwortlichen und Behörden. Wenn also zum Beispiel die immer wiederkehrende offizielle Pressemitteilung der Polizei lautet: "Selbstmord" (=besser im Sprachgebrauch ist "Selbsttötung"), dann sollte der geneigte Leser, Hörer und Zuschauer immer hellhörig werden ! Wenn die augenscheinliche Anzahl der Selbstmorde die der Morde und Totschläge übersteigt, welche "systemimmanente" Entwicklung streben wir an ???

Dies ist ein Paradebeispiel von vielen, wie einfach es sich Behörden und auch die Bürger machen: huch, ein schwieriger Fall ? => ab zu den Akten oder gar: einfach wegsperren ! So gehört sich das in einem Land, in einer Welt, wo aufgeblähte Verwaltungsapparate und eine pervertierte Massendatenspeicherung Menschen zu Statisten und gesellschaftliches Leben zu Statistiken umfunkionieren und degradieren.

Das scheint das endgültige Schicksal des modernen urbanen Menschen zu sein, der sich viel zu wenig gegen diese Entwicklung, Vereinnahmung und Fremdbestimmung stemmt und wehrt, und den die
Politiker und Mitverantwortlichen von einer Legislaturperiode zur nächsten vertrösten: "Sei doch ruhig, mein lieber Bürger. Ich sorge schon für Besserung, ich halte mein Versprechen, kannst mir jetzt mal wirklich glauben ! Hauptsache, du wählst mich nächstes mal wieder, oder bist du etwa mit meiner ehrlichen und aufopferungsvollen Hingabe für dein Wohlergehen nicht zufrieden ?! Und bitte, guck nicht immer so misstrauisch, das macht mich ganz traurig !"

(... von dieser zunehmenden Misere stammt in gewisser Weise auch der Spruch: "Meine Kinder sollen es mal besser haben als ich !" ... und jetzt kommt die unausgesprochene gedankliche Fortführung: "... denn ich war nicht Mann genug, mein Kind oder andere Schutzbefohlene vor unheilvollen Entwicklungen zu schützen ... ich selber habe mich geflüchtet in billige Fernsehshows, habe mich befriedigt mit Handy-Klingeltönen und Pornostuff und meine Wampe vollgefressen mit Pommes, Pizza und aufbereiteten toten Fleisch !" ...)

Die Rechtsmedizin, die Zwillingsschwester der Pathologie, ist ein Indikator von vielen, wie Menschen in einer Gesellschaft sich entwickeln, mit einer kleinen Besonderheit: sie ist endgültig !
Ein Gerichtsmediziner, so auch der Pathologe, ist naturgemäß unfähig zur Beschönigung der Tatsachen und Dinge in einer Gesellschaft, die ihm mal wieder eine Leiche mit unnatürlicher Todesfolge auf den Seziertisch beschert hat !

Der Rechtsmediziner darf zu Recht sagen und fragen: ich kann die Ursache, Wahrheit und Entwicklung bei angemessener Zeit und bei ausreichend bewilligten Mitteln suchen und finden, doch was wollt ihr in Wirklichkeit hören - was kann euer so zartbesaitetes Seelchen und Gemüt vertragen ???

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