Donnerstag, 4. Oktober 2007

Kurt Tucholsky (1890-1935) - An das Baby


Alle stehn um dich herum:
Fotograf und Mutti
und ein Kasten, schwarz und stumm,
Felix, Tante Putti...

Sie wackeln mit dem Schlüsselbund,
fröhlich quietscht ein Gummihund.
"Baby, lach mal!" ruft Mama.
"Guck", ruft Tante, "eiala!"

Aber du, mein kleiner Mann,
siehst dir die Gesellschaft an...
Na, und dann - was meinste?
Weinste.

Später stehn um dich herum
Vaterland und Fahnen;
Kirche, Ministerium,
Welsche und Germanen.

Jeder stiert nur unverwandt
auf das eigne kleine Land.
Jeder kräht auf seinem Mist,
weiß genau, was Wahrheit ist.

Aber du, mein guter Mann,
siehst dir die Gesellschaft an...
Na, und dann - was machste?
Lachste.


* der Autor ................................................
Geboren am 09.01.1890 als Sohn eines Kaufmanns in Berlin, studierte dort und in Genf Jura und promovierte 1914 in Jena mit einer Arbeit über Hypothekenrecht. Für kurze Zeit war er als Bankvolontär tätig. Tucholsky war einer der bedeutendsten Gesellschaftskritiker des 20. Jahrhunderts. Er war unter den Pseudonymen Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel und Kaspar Hauser Mitarbeiter der "Schaubühne" und "Weltbühne", die er mit Siegfried Jacobsohn und dem späteren Friedens-Nobelpreisträger Carl von Ossietzky zu einem der aggressivsten und wirksamsten publizistischen Instrumente der Weimarer Republik machte. Seit 1924 lebte Tucholsky überwiegend im Ausland und kehrte nur sporadisch nach Deutschland zurück. Ab 1929 lebte er in Schweden. 1933 verboten die Nazis die "Weltbühne", verbrannten Tucholskys Bücher und bürgerten ihn aus. Am 21. Dezember 1935 schied er, nach quälender Krankheit und mehreren Operationen, in Hindas/Schweden freiwillig aus dem Leben.

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