Donnerstag, 9. Juli 2009

Aus einer Chronik:

Ein Lied in zwei Fassungen

von Reinhart von Westerburg

[Übersetzung in Anschluss an das Original]

Original

Item da man schreip dusent druhundert unde siben unde virzig jar da worden di von Cobelenze jemerlichen irslagen unde nidergeworfen bi Grensauwe, unde bliben ir doit hundert und zwene unde sibenzig man, unde worden ir auch darzu vil gefangen, unde daz det Reinhart herre zu Westerburg.
  • Unde der selbe Reinhart was gar ein kluger ritter von libe, von sinne unde vongestalt, unde reit keiser Ludewigen ser nach unde sang unde machte he dit lit:
"Ob ich durch si den hals zubreche,
wer reche mir den schaiden dan?

so enhet ich nimans, der mich reche;
ich bin ein ungefrunter man.

Darumb so muß ich selber warten,
wie ez mir gelegen si.

Ich enhan nit trostes von der zarten,
si ist irs gemudes fri.

Wel si min nit, di werde reine,
so muß ich wol orlaup han.

Uf ir genade achte ich kleine,
sich daz laße ich si vurstan."

Da der vurgenant keiser Ludewig daz lit gehorte, darumb so strafte he den herren von Westerburg unde saide, he wolde ez der frauwen gebeßert han. Da nam der herre von Westerburg eine kurze zit unde saide, he wolde den frauwen beßeren, unde sang daz lit:

"In jamers noden ich gar vurdreven bin
durch ein wif so minnecliche"

etc.

Da sprach keiser Ludewig:
  • "Westerburg, du hast uns nu wol gebeßert."

[Übersetzung]

Zu der Zeit, als man das Jahr 1347 schrieb, da wurden die [Kämpfer] aus Koblenz jämmerlich
erschlagen und besiegt bei Grenzau, und es blieben von ihnen 172 Mann tot [dort], und darüber
hinaus wurden viele von ihnen gefangen, und das tat Reinhart, Herr von Westerburg.
  • Und dieser Reinhart war ein hervorragender Ritter an körperlicher Bildung, Verstand, Fühlen und Aussehen; und er ritt Kaiser Ludwig immer nach und dichtete und er machte dieses Lied:

"Wenn ich mir ihretwegen den Hals bräche -
wer würde für mich den Schaden rächen?

Wenn das so wäre, hätte ich niemand, der mich rächen würde;
ich bin ein Mann ohne Freunde und Verwandte
[, die Beistand leisten].


Darum muss ich selber genau darauf achten,
wie es mir ergeht.

Ich bekomme keinerlei Trost von der Feinen -
die macht, was sie will.

Wenn sie mich nicht will, die edle Reine,
dann muss ich die Erlaubnis bekommen, wegzugehen.

Ihre Gnade bedeutet mir nichts,
schau: das lasse ich sie wissen."

Als der vorgenannte Kaiser Ludwig das Lied hörte, tadelte er deswegen den Herrn von Westerburg und sagte, er wolle es in Bezug auf die Dame verbessert haben. Da bedachte sich der Herr von Westerburg kurz und sagte, er wolle es für die Frauen verbessern, und sang dieses Lied:

"In die Not des Jammers bin ich ganz hineinvertrieben worden
durch eine Frau so liebreizend "

etc.

Daraufhin sagte Kaiser Ludwig:
  • "Westerburg, jetzt hast du [das] für uns gut verbessert!"

***

Die "Limburgische Chronik" des Tileman Elhen von Wolfhagen berichtet diese Begebenheit.
  • Ein Reinhart von Westerburg ist als bedeutender Adelsmann mit Lebensdaten von 1315-1353 bezeugt - als Dichter wird er uns nur hier vorgestellt.
  • Die Erzählung zeigt, dass das Dichten von Minneliedern auch eine Beschäftigung für Kriegsherrn ist, die nicht lange fackeln, wenn sie einen Befehl bekommen.
  • Warum sollte Reinhart aber auch lang Gefühle wägen: Minnesang ist keine Dichtung, die individuelle Erfahrungen und Emotionen in Worte fasst;
  • Minnesang ist vor allem eine kunstreiche und prestigeträchtige Kulturübung.
Da Dichten und Lieben sich nicht nur für Kriegsherren und Kaiser ziemt, möge es Ihnen im Juli nicht fremd bleiben.

***

Dr. Martin Schuhmann freut sich auf Ihr Feedback

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