Dienstag, 27. Oktober 2009

In den Jahren 1927-1934 befasste sich der Schriftsteller und Philosoph Walter Benjamin mit den Wirkungen des Cannabis; er plante ein Buch darüber, das Fragment geblieben ist. Seine Eindrücke und Erlebnisse unter der Wirkung von Haschisch fasste er in Protokollen und Aufzeichnungen zusammen, die von hoher intellektueller Schärfe sind. Sie bestätigen, dass vieles von der persönlichen Substanz des Konsumenten, der einen Rauschzustand erlebt, dessen Inhalt und Ausformung wesentlich prägt. Schlicht strukturierte Menschen erleben schlichte Räusche, differenzierte können dagegen sehr detailreiche Rauschzustände erleben. Benjamin [1981] beschreibt vor allem die Wirkung auf die Stimmung, die Affektlage und die Wahrnehmung, er beschreibt Evidenzerlebnisse und grundlose Albernheit, die Beobachtung des Banalen und seiner subjektiv erlebte Umformung zu etwas Bedeutsamen, aber auch Unlustgefühle und Misstrauen gegenüber der Umgebung.
  • "Kommst du mit zur Disco ?" - "Nee, habe mir gerade einen gepieft" - "Es ist immer das Gleiche mit euch Kiffern, dann gehe ich halt mit Chrissie alleine !" ;-) => das war also das zuverlässigste Geheimnis: hast du keine Böcke auf Disco und ähnlich dezibellastige Events, dann schnell eine drehen, auf beste Freundin warten, nur um ihr mitzuteilen, dass man jetzt indisponiert ist ! Und dann wird man in diesem THC-Rausch manchmal doch genötigt und mitgeschleppt und stellt nach dem Abend immer zu 100% fest: das war richtig Scheiße, die ganzen Leute haben mich beobachtet, alle haben bemerkt, dass ich etwas geraucht habe ... demnächst bleibe ich zu Hause, dort fühle ich mich wohl und nicht beobachtet !
  • heutige Analyse: an diesen Abenden war die gefühlte, subjektiv persönliche Einschätzung des Unterschieds in der psychischen Verfassung und Wahrnehmung zwischen dem zahlenmäßig größeren, alkoholisierten Klientel und den einigen wenigen THC-angereicherten Gästen viel zu groß ! Dabei ist ein bekiffter Gast den Türstehern lieber als ein alkoholisierter, denn Ersterer macht zu 99,99 % keinen Stunk, außer er kippt auf der Tanzfläche um, weil er die Wechselwirkung von Alkohol mit THC unterschätzt hat !
In der 1927 erschienenen 2. Auflage seines Buches "Phantastica" beschreibt Lewin auch den indischen Hanf. Er setzt sich sowohl mit der Namensentstehung auseinander als auch mit zahlreichen mittelalterlichen Quellen, auf die hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden kann. Er beschreibtdie Verbreitung des Cannabiskonsum in Afrika, die verschiedenen Zubereitungsformen bei den einzelnen Stämmen in West-, aber auch in Süd- und Ostafrika. Einen besonderen Abschnitt widmet er dem Cannabiskonsums in Kleinasien und Asien, aber auch in Nordafrika, wo von Westen nach Osten hin die Leidenschaft wachse, Hanf zu rauchen. Mit den Worten Moreaus, wie sie sich in deutscher Übersetzung bei von Bibra finden [1855], schildert Lewin(allerdings ohne Quellenangabe) die Wirkung von Cannabis:
  • "Bestenfalls ist es so, als wenn die Sonne jeden Gedanken beschiene, der das Gehirn durchzieht, und jede Bewegung des Körpers eine Quelle von Lust wäre. Ein solcher Mensch fühlt sich nicht in der Art glücklich, wie der Feinschmecker oder Hungrige, wenn er seine Esslust befriedigt, noch wie der Wolllüstling, wenn er seiner Liebeslust frönt, sondern er ist glücklich, wie jemand, der auf fröhliche Nachrichten hört, wie der Geizige, der seine Schätze zählt, wie der Spieler, wenn ihn das Glück begünstigt, oder wie der Ehrgeizige, den der Erfolg berauscht. Dabei kann noch ein gewisser Verwirrungszustand bestehen, in dem allerhand fernliegende Gedanken, über deren Auftauchen man sich Rechenschaft nicht zu geben vermag, heranstürmen. Verworrene Pläne, deren Klärung bisher unmöglich schien, glaubt das Individuum entworren vor sich und der Verwirklichungen entgegengehen zu sehen. Die Bande der Zeit und des Raumes sind gesprengt [...]"
  • => dies ist eine sehr gute Beschreibung eines Grundmusters der Wirkung von THC !

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