Donnerstag, 4. Oktober 2007

Myanmar

Vor rund elf Monaten tauschte Marcin Pietraszkiewicz sein Leben als Arzt im Krankenhaus Oberndorf bei Salzburg gegen das eines Mitarbeiters von Ärzte ohne Grenzen im Nordosten von Myanmar (Birma). Neben der Behandlung von Krankheiten wie HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria zählt insbesondere auch die Ausbildung von einheimischen Fachkräften zu seinen täglichen Aufgaben. Sein Brief gibt Einblicke in seinen Arbeitsalltag und die Lebensumstände seiner Patienten.Vor knapp einem Jahr kam ich an meinen Einsatzort Myitkyina, im nördlichen Bundesstaat Kachin. Ärzte ohne Grenzen betreibt hier eine stark frequentierte Klinik und mehrere kleinere Krankenstationen. Meine Aufgabe hier ist, die lokalen Ärzte aus -und fortzubilden, sie in ihrer Arbeit zu unterstützen und unsere Aktivitäten auszubauen.

Wenn ich unsere Klinik betrete und mich durch die geduldig wartenden Menschenmassen durchkämpfe, wird das ganze Ausmaß des Elends offensichtlich. Hier gilt: Aids, Tuberkulose (oft gehen beide Hand in Hand) und Malaria sind Volkskrankheiten. Die Warteräume unserer Kliniken gleichen einer Hausarztpraxis, vom Säugling bis zur Großmutter, vom Lehrer bis zum Tagelöhner sind alle Altersgruppen und gesellschaftlichen Schichten vertreten.

Ich behandle tagtäglich schwerkranke Menschen, die oft barfüssig, bloß mit ihrem einzigen zerrissenen Hemd bekleidet, unsere Kliniken aufsuchen. Viele Patienten nehmen tagelange Reisen auf sich, um in unsere Kliniken zu gelangen.

So auch Ma Sen Sen, eine 30-jährige Frau, die geschwächt und beinahe bewusstlos von ihrer Schwester getragen wurde. Sie hat von unserer Klinik gehört und beschlossen, sich auf die beschwerliche Boot -und Fußreise zu begeben. Ärzte ohne Grenzen war ihre letzte Hoffnung.

Die junge Frau war abgemagert, hatte einen schuppenden Ausschlag am ganzen Körper, Fieber und Beinschwellungen. Sie hatte bereits unzählige Ärzte konsultiert und ihr gesamtes Vermögen ausgegeben. Nur um am Ende zu erfahren, dass ihr niemand helfen konnte und sie sterben müsse.

Wir behandelten Ma Sen Sen auf Verdacht einer so genannten Autoimmunerkrankung. Das bedeutet, ihr Immunsystem bekämpfte ihren eigenen, eigentlich gesunden Körper. Ein Monat später stand eine Frau am Eingangstor der Klinik und grinste mich breit an. Es war Ma Sen Sen. Sie war nicht wiederzuerkennen. Strahlend berichtete sie, dass sie ihr Reisfeld wieder bestellen, ihre zwei Kinder ernähren und in die Schule schicken kann.

Augenblicke wie dieser geben mir viel Kraft weiterzumachen.

Marcin Pietraszkiewicz

September 2007

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