Dienstag, 1. April 2008

Generation Doof – Amerikaner immer dümmer

aus: Wissen => welt.de =>

Wer war Adolf Hitler? Ein Waffenhändler? Ein deutscher Kaiser? Österreichs Ministerpräsident? Oder Reichskanzler der Nazis? Ein Viertel der US-Amerikaner weiß keine Antwort auf diese Frage, denn sie werden immer dümmer. Und das macht ihnen nicht einmal mehr etwas aus, beklagt eine US-Journalistin.

Susan Jacoby stand unter Schock am Dienstag, dem 11.September 2001, wie alle Welt, als sie auf dem Fußweg zu ihrem Apartment in Manhattan in einer Bar Trost bei einem Drink suchte. „Es ist genau wie Pearl Harbor“, stöhnte einer der beiden gut gekleideten Herren am Tresen neben ihr. „Was war noch mal Pearl Harbor?“, fragte der andere. „Das war, als die Vietnamesen einen Hafen bombardierten und den Vietnamkrieg begannen.“

Susan Jacoby leerte ihren Bloody Mary und beschloss, ein Buch zu schreiben: über Dummheit. Über eine Beschränktheit, die nicht mehr als Mangel oder Makel empfunden wird unter vermeintlich Gebildeten in Amerika. Ende Februar dieses Jahres erschien „The Age of American Unreason“ (Das Zeitalter der amerikanischen Unvernunft). Jacobys Befund ist so niederschmetternd wie „9/11“. Der Streit darüber entsprechend heftig.

Niemand kann bestreiten, dass laut Umfragen die Hälfte der Amerikaner an Geister und Feen glaubt und ein Fünftel meint, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Dieselbe Zahl war 2003 vor Beginn der Invasion im Irak in der Lage, das Land auf beschrifteten Karten zu finden. Bei den Jungen wird Amerikas Weltsicht noch trüber. Weniger als die Hälfte weiß, wann der amerikanische Bürgerkrieg ihr Land ausblutete, jeder Vierte glaubt, Christopher Columbus habe die Neue Welt nach 1750 entdeckt.

Eine Erhebung des Pädagogenverbands Common Core unter 1200 17-Jährigen, die im Januar aus 33 Multiple-Choice-Fragen zu Geschichte und Literatur den Stand des Gemeinwissens ermittelte, stellte fest, dass ein Viertel sich nicht entsinnen konnte, ob Adolf Hitler ein Waffenhändler, deutscher Kaiser, Österreichs Ministerpräsident oder womöglich doch Reichskanzler Nazi-Deutschlands war. Dieses Ergebnis könnte geschichtsfliehende Deutsche freuen und bestärken. Mit Blick auf Gedeih und Politikfähigkeit mündiger US-Bürger muss es verstören.

Was aber Susan Jacoby (62), früher Journalistin bei der „Washington Post“, vor allem umtreibt, ist ein Bündnis von Antiintellektualität und Antirationalismus im öffentlichen Diskurs: Die Haltung, dass „zu viel Wissen gefährlich sein kann“, und die Einstellung, „dass es keine (wissenschaftlichen) Beweise oder Tatsachen gibt, nur Meinungen“, sind nach Jacobys Beobachtung in den vergangenen 20 Jahren verschmolzen zu einem dumpf-wohligen Gemenge von Halbwahrheit, Gerücht und Gefühl.

Das Schlimmste und wirklich Neue daran, so die Prämisse der Autorin: Immer weniger Amerikaner wissen noch, was sie nicht wissen. Und immer weniger scheren sich darum. Zumal die Jungen. Zwei Drittel der Studenten, notiert Jacoby, können nicht mehr die drei Gewalten ihrer Republik nennen; bei einem Mathematikwettbewerb rangierten die USA an 24.Stelle von 29 Ländern. Und es stört sie nicht einmal. Anders, im brachialen Jargon des Lifestyles gesagt: „Dumb is the new cool.“ Blöd zu sein wird schick.

Natürlich sind die Medien mit ihrem gnadenlosen 24-Stunden-Nachrichten-Zyklus die ersten Verdächtigen, sekundiert von der bildmächtigen neuen Blogwelt von YouTube, MySpace et allis. Der Triumph der Videokultur mit all ihren digitalen Spielarten über die Druckkultur ist für Jacoby „der erste und wichtigste der Vektoren des neuen Antiintellektualismus“.

Mehr als 40 Prozent der Amerikaner unter 44 Jahren lesen kein einziges Buch mehr im Jahr; seit 1984 hat sich der Anteil der 17-Jährigen, die angeben, nichts (außer verlangter Schultexte) zu lesen, mehr als verdoppelt. Susan Jacoby lässt das Surfen im Internet nicht als Lesen gelten, das Konzentration über lange Zeiträume verlangt. Gemeinwissen verkommt.

Nun ist es, wie Susan Jacoby wohl weiß, wenig originell, sich über die Verdummung und zunehmende Sittenlosigkeit der Jugend zu erregen. Die ältesten und edelsten Texte des Abend- wie des Morgenlandes sind voll von solchen Klagen alter Männer. Jacobys Buch zeichnet die Geschichte der amerikanischen intellektuellen Aufklärer, von den Gründervätern bis zu Richard Hofstadter („Anti-Intellectualism in American Life“, 1963) nach.

Sie kommt zu dem Schluss, dass nie zuvor die Zivilisationstechnik des Lesens und (daran trainiert) des Denkens so bedroht war. Weit älter ist freilich der amerikanische Argwohn gegen den Intellektuellen, den Dwight Eisenhower 1954 als Mann beschrieb, „der mehr Worte als nötig darauf verwendet, mehr zu sagen, als er weiß“.

Irving Kristol, Patriarch der Neokonservativen und klassischer jüdischer New Yorker Intellektueller, nannte es 1983 seine vornehmste Aufgabe, „dem amerikanischen Volk zu erklären, warum es recht hat, und den Intellektuellen, warum sie irren“.

Es vergeht keine Viertelstunde in Amerikas Alltag, in der nicht wütende Blogger oder Radio-Talker gegen die „intellektuellen“ Eliten hetzen. Das Attribut ist im Begriffskanon der Neuen Rechten seit Ronald Reagan ein Schimpfwort geworden wie „(links)liberal“. Zugleich blüht prächtig der Mythos der einfachen Volksweisheit.

George W. Bush gewann seine erste Wahl mit einem geschickt ausgestellten Image des volkstümlichen Kumpels, der unerschütterliche Werte hat und stets weiß, was gut und was böse ist. Ihm fehlte, nach eigenem Eingeständnis, die intellektuelle Neugier, Zeitungen selbst zu lesen.

Und eine Mehrheit der Amerikaner, so der Beschluss des Supreme Court, wählte 2000 wohl auch deshalb Bush, weil sie diesen Zug zum Einfältigen, Geraden, Gottesfürchtigen vertrauenswürdig fand. Susan Jacoby hat wichtige, in ihren Analysen vielleicht überlegene Verbündete in Autoren wie Al Gore („The Assault on Reason“, 2007), Andrew Keen („The Cul of the Amateur“) und Mark Bauerlein („The Dumbest Generation: How the Digital Age Stupefies Young Americans and Jeopardizes Our Future“).

Alle beklagen den Niedergang der Lesefähigkeit und des Gemeinwissens: „Ihr könnt mich zitieren“, notiert der Englischprofessor der Emory University, Bauerlein, „ihr Typen habt von nichts eine Ahnung.“ In der US-Quizsendung „Are you smarter than a Fithgrader?“ beweisen junge Prominente in unentwegter Realsatire, dass sie weniger als ein Fünftklässler wissen.

„Budapest ist die Hauptstadt welchen europäischen Landes?“ – „Was, ich dachte, Europa sei ein Land?“ Und dann: „Hungary?“ – „Was? Ich kannte Turkey, aber dass ein Land ,Hungrig‘ heißt!“
Susan Jacoby verlangt, wie viele andere, einheitliche Schulstandards in den USA, die bisher jedem Staat und jedem Kreis sein Curriculum überlassen. Deshalb wird in Kansas Kreationismus, die zur Wissenschaft erklärte Lehre von Gottes Schöpfung, gleichberechtigt neben der Evolutionstheorie unterrichtet. Susan Jacoby hält den Einfluss des religiösen Fundamentalismus für eine der Wurzeln der Feindseligkeit wider das Wissen.

Amerikas Demokratie selbst, stets gefährdet, sieht die Autorin in eine Dämmerung der Ahnungslosigkeit und Gedächtnislosigkeit sinken, wenn nicht Einhalt geboten wird. Andere Kritiker einer Bildungsmisere, welche die Ungebildeten immer weniger störe, rufen Thomas Jefferson an: „Wenn eine Nation erwartet, unwissend und frei zu sein, in einem Zustand der Zivilisation, erwartet sie, was niemals war und niemals sein wird.“

Eine witzige und geistreiche Erwiderung auf Mark Bauerleins Verdammung der „dümmsten Generation“ wagte Ende Februar ein gewisser Eric Betts in der Emory-Studentenzeitung: „Meine Mutter rief an, um mir zu sagen, dass einer meiner ehemaligen Professoren mich im Fernsehen als dumm bezeichnet... nicht nur mich: uns alle, die wir unter 30 sind.“

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