Mittwoch, 26. März 2008

Wie wird das Gelingen und Misslingen des Lebens erlebt: Kapitel 4, Nr.3

Wenn man in klin.Interviews Menschen reden hört oder Äußerungen, in Tagebüchern, Briefwechseln und anderen biogr. Dokumenten studiert, gewinnt man den eindruck, dass im Aufbau der Erlebnisse des Gelingens und Misslingens durch die jahre eine Akkumulation stattfindet, derart, dass selbst Menschen, die nciht im eigentlich Sinn Lebensziele herausbilden, doch zusammenfassende Gefühle haben: "Alle gelingt mir", oder "Alle missglückt".

Damit wird bereits deutlich, dass die menschen im großen Maßstab, wenn auch im verschiedenen Maße, das Schicksal oder die Umstände für ihr Glück oder Unglück verantwortlich machen.

Hier gibt es jedoch große individuelle Unterschiede. Und es mag gleich erwähnt werden, dass es unseren modernen Lebensgefühl als ein Zeichen seelischer Kraft, Gesundheit und innerer Ehrlichkeit gilt, wenn jemand im Stande ist, sich darüber Rechenschaft abzulegen, bis zu welchem Grade er sich selbst oder aber die Umstände verantwortlich macht für seine Erfolge und vor allem misserfolge. Diese Haltung- und das ist eine der Haupteinsichten, die freud uns vermittelt hat- verstehen wir heute unter dem psychotherapeutisch so wichtigen Gedanken, das der seelisch Gesunde die Wirklichkeit sieht, wie sie ist.

Übrigens gibt es modernste Analytiker, die, wie Thomas Szasz, rundweg erklären: all dies sei nicht so sehr eine Frage der Gesundheit als vielmehr der Moralität. Die Wahrheit nicht sehen können, wie sie ist, sei einfach unehrlich und der Begriff der seelischen Krankheit ein "Mythos", wie er das nennt. Doch scheint mir dies zu weit zu gehen. ich glaube, dass ein Mensch - sieht man einmal von Verbildung durch falsche Erziehung und ungünstige Umgebungseinflüsse ab oder von Verblendung, die durch die kulturelle Umwelt bedingt ist - in der Tat seelisch nicht stark genug sein kann, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen oder sie zu ertragen.

Jedoch, ob der Mensch, der stets das Geschick für seinen Misserfolg verantwortlich macht, nun krank, schwach oder unehrlich oder all dies zusammen sein mag - auf jeden Fall wird er heute nicht mehr ernst genommen. Dies festzustellen ist umso wichtiger, als wir in einer Zeit leben, in der weltpolitische Katastrophen die Menschheit in einer Weise hin- und herschleudern, den einzelnen Menschen entwurzeln, ihm das Lebensnotwendigste nehmen, ihn vor Situationen des Grauens, der Not und des Todes stellen, wie sich das durch Jahrhunderte hindurch nicht ereignete.

Merkwürdigerweise zeigt sich, dass sehr viele Menschen diesen fürchterlichen Schicksalsschlägen mit einer Seelenruhe und Kraft begegnen wie man es nie erwartet hätte, und sich mit bewundernswertem Einfallsreichtum neue Existenzen oft aus dem Nichts stampfen. Nicht minder viele aber gehen, wie wir aus traurigster Erfahrung wissen, oft in erschreckender Anzahl in Folge brutalster Vernichtung oder überwältigender Schwierigkeiten zugrunde. Die Psychologie ist noch nicht in der Lage, über all diese Reaktionen von Individuen, Gruppen und Massen wissenschaftlich fundierte Auskunft zu geben. Wir müssen uns einstweilen auf sehr bescheidene Studien von Einzelschicksalen beschränken.

Jedoch ist es wichtig sich klarzumachen, in welchem Sinn hier das Wort Schicksal ins Spiel kommt. Unter Schicksal wollen wir verstehen die Gesamtheit der Umstäde, die einem Individuum "beschieden" sind. Mit "beschieden" meinen wir Ereignisse, auf die der Einzelne aus Äußeren oder inneren Gründen keinen Einfluss hat, die sich seiner Kontrolle entziehen. Die inneren Gründe dürfen wir dabei nicht vergessen denn wenn jemand einen nur beschränkten Verstand hat oder allzu überempfindlich ist, wenn jemand sich seine Ziele falsch steckt, so trägt auch das zu seinem Schicksal bei. Dieses Schicksal ist dann die Gesamtheit der Umstände, die den Verlauf seines Lebens bestimmen.

Was gibt es dann aber außer diesem Schicksal? Ist schließlich nicht auch die Willenskraft, mit welcher der eine sich aufrichtet, während sie dem anderen fehlt, Schicksal? Ja und nein: Soweit letzte innere und äußere Gegebenheiten in Betracht kommen, ja. Jedoch sind alle Gegebenheiten einschließlich der inneren, wie wir schon dargelegt haben, als Potentialitäten aufzufassen. Das heißt, es scheint gegenüber den Gegebenheiten einen inneren Freiheitsgrad zu geben, der eine Wahl, eine Selbstbestimmung und freie Entscheidungen bis zu gewissem Grade möglich macht. Wenn hier trotz seines unerträglich gewordenen Geschicks den Herrn preist; wenn Marie Heim-Vögtlin, eine Schweizer Ärztin, gegen Ende ihres Lebens sagt: Es ist auch nicht das Geringste in diesem Dasein, das ich anders haben möchte", obwohl sie mancherlei Leiden und in den letzten Jahren eine schwere Krankheit durchzustehen hatte; wenn die große Mathematikerin Sonja Kowalewska ihr Leben endet mit einer Schrift "Wie es war und wie es hätte sein können"; wenn in Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" der eine Sohn vom toten Vater sagt: "Seine Träume waren falsch. Die waren alle falsch", der andere aber: "Er hatte einen guten Traum geträumt. Den einzigen, den es gibt - es zu etwas zu bringen..." - so sind das Interpretationen von Schicksalen, die eben soviel oder mehr auf die Einstellung der Individuen schließen lassen als auf die objektiven Ereignisse.

Die Einstellung auf das Gelingen oder Misslingen des Lebens kann anscheinend einerseits von Anfang an und durch vieles Unglück hindurch hoffnungsvoll sein und andererseits selbst bei günstigen Bedingungen skeptisch.

Neurotische Faktoren können die Einstellung auf Gelingen und Misslingen noch in anderer Weise beeinflussen. Der Handlungsreisende Willy in Arthur Millers bekannten Drama hat in Folge seiner neurotischen Persönlichkeit eine dauernd zwischen falschem Optimismus und Pessimismus schwankende Lebensauffassung. Falsch ist sein Optimismus insofern, als er die Realitäten des Lebens, seiner Fähigkeiten und dessen, worauf es ankommt, völlig falsch beurteilt und missversteht.

Wie die Einstellung auf das Gelingen und Misslingen des Lebens konstruktiv und destruktiv sein kann, so kann auch die Beurteilung des bisherigen Gelingens oder Misslingen der Realität entsprechend sein oder aber durch falsche Hoffnungen und Erwartungen oder durch Minderwertigkeitsgefühle und Depressionen verzerrt. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, wie oft er sich über das Ausmaß gewisse Erfolge und Misserfolge getäuscht hat, und wie schwer es oft selbst bei hinreichender Objektivität ist sich ein richtiges Urteil über diese Dinge zu bilden. Das Bewusstsein von Erfolgen und Misserfolgen, die Erlebnisse des Gelingens und Misslingens hängen natürlich weitgehend von den Zielen und Erwartungen ab mit denen ein Mensch sein Leben erlebt. Diesen Faktor der erwartungen gilt es deshalb zu betrachten.

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