+++ Naive Werderaner: "Nur mit Herz spielen, reicht nicht!"
Dieses Spiel war ein Schlag in die Magengrube der Werderaner. Nach der Enttäuschung in Glasgow holten die Grün-Weißen noch einmal alles aus sich heraus und wurden von zurückhaltenden, abwartenden Stuttgartern gnadenlos ausgekontert. "Diese Partie ist wirklich ganz schwer zu verdauen. Das Ergebnis ist viel zu hoch ausgefallen. Wir waren ganz sicher nicht die schlechtere Mannschaft und bekommen sechs Stück, davon allein fünf Kontertore", so Geschäftsführer Klaus Allofs, der nur einen Begriff für das Verhalten der eigenen Mannschaft fand: Naivität! Der ehemalige Nationalstürmer erklärte es noch genauer: "Wir haben heute den Gegner viel zu einfach Tore schießen lassen. Wir haben heute nur mit dem Herzen Fußball gespielt, aber nicht mit Verstand. Das reicht nicht aus. Wir müssen uns in vielen Situationen cleverer verhalten. Wenn der FC Bayern hier 1:0 in Führung geht, dann spielt er anders. Dazu fehlt uns noch einiges. Wir haben eben eine junge Mannschaft."
Naivität war für Cheftrainer Thomas Schaaf das Stichwort bei der Bewertung der gesehenen Leistung: "Wenn man ein Jubiläumsspiel machen möchte, dann muss man uns einladen. Dann bekommt man einen Gegner, der richtig gut mitspielt, der fußballerisch einiges aufzeigt, Tore schießt, in Führung geht und trotzdem mit einem 1:2 in die Pause geht. Das ist angenehm für die Gastgeber, die nur auf Fehler warten müssen", so Schaaf, der selbst nach der Halbzeitansprache keine Veränderung feststellte. "Da bot sich das gleiche Bild. Unser Spiel war voller Unentschlossenheit, Zaghaftigkeit und Naivität in der Defensive. Das wurde vom VfB bestraft und darin war er heute sehr stark."
So stark, dass für die Grün-Weißen aber auch nichts an Belohnung für ihre Einsatzfreude in der Offensive übrig blieb. "Denn das muss man bei aller Niedergeschlagenheit auch positiv herausheben. Wir sind trotz unseres schweren Programms gut ins Spiel gekommen, übernahmen die Kontrolle und hatten die besseren Aktionen. Auch nach dem Rückstand haben wir das 2:2 gemacht und später den Anschluss zum 3:4 erkämpft. Es war bewundernswert, wie die Mannschaft immer wieder den Weg nach vorn gesucht hat. Nach dem Spiel gegen Glasgow haben wir unsere Offensive kritisiert, das haben wir heute viel besser gemacht, doch die Belohnung dafür haben wir uns nicht abgeholt."
So sieht es auch Sebastian Boenisch: "Es ist ganz schwer, Worte zu finden. Von zehn Spielen, in denen du auswärts drei Tore schießt, gewinnst du eigentlich neun. Dieses Ergebnis spiegelt einfach nicht den Spielverlauf wieder." Daniel Jensen stimmte mit ein: "Wenn du drei Tore auswärts schießt, musst auch gewinnen. Sechs Gegentore darfst du einfach nicht bekommen. Wir haben zu oft falsch gestanden und zu viele Fehler gemacht." Clemens Fritz betonte: "Natürlich liegen unsere Stärken in der Offensive, aber so dürfen wir einfach nicht agieren." Ganz niedergeschlagen reagierte Per Mertesacker auf den Ausgang der Partie: "So ein Spiel macht sprachlos. Ich bin mit einem Eigentor und einer roten Karte am untersten Tiefpunkt angekommen. Wir haben gut begonnen und viel gearbeitet. Ich bin sehr enttäuscht, wie naiv wir nach der Führung mit dem Spiel umgegangen sind. Gut spielen, viele Chancen erarbeiten bringt uns nichts, wenn wir keine Punkte mitnehmen."
Warum alle drei Zähler trotz 9:28 Torschüssen und nur 43 Prozent Ballbesitz bei den Schwaben blieben, erklärte sich Stuttgarts Coach Armin Veh so: "In der Defensive haben die Bremer mehr Fehler gemacht als wir, das war entscheidend. Wir waren auch nach dem 4:2 noch nicht durch, weil der Gegner immer noch hervorragenden Offensivfußball gespielt hat, doch wir haben dann unsere Konter lehrbuchmäßig abgeschlossen." VfB-Stürmer Mario Gomez nahm das Bild von Cheftrainer Thomas Schaaf auf und würde wohl auch die Werderaner gern zu einem Jubiläumsspiel in Stuttgart wieder sehen. "Gegen die Bremer macht es jedes Jahr richtig Spaß. Es ist toll, wenn ein Team nicht nur hinten drin steht, sondern auch Fußball spielen will. Dann ist man einfach besser und es kommen solche Ergebnisse heraus. Es fallen immer viele Tore. Das ist das, was die Zuschauer sehen wollen. Das Hinspiel haben wir 1:4 verloren. Heute war es andersrum, obwohl wir jeweils die erste Viertelstunde jeder Halbzeit verschlafen haben."
von Michael Rudolph und Felix Ilemann
EXKURS IN DIE STATISTIK:
Sebastian Boenisch hat entweder einen statistischen Glücktreffer gelandet oder als Neuzugang die Werder-Ergebnisse der letzten drei Spielzeiten genau im Kopf. Denn seine Aussage, dass man von zehn Auswärtsspielen mit drei geschossenen Toren neun gewinnt, trifft 100-prozentig auf die Grün-Weißen zu. Vor dem Spiel in Stuttgart benötigten die Bremer mit ihrem offensiven Stil nicht einmal drei Jahre für zehn solcher Ergebnisse und nur eines haben sie verloren. Es war beim letzten Auswärts-Dreierpack in Hannover am 08.12.2007 als die Gastgeber noch 4:3 siegten. Die Zehner-Serie startete am 10.09.2005 beim 5:1 in Kaiserslautern. Danach gab es noch weitere acht Siege: ein 4:1 in Köln, 5:3 in Duisburg, 4:2 in Hannover, 6:0 in Bochum, 6:1 in Mainz, 6:2 in Frankfurt, 4:1 in Berlin und ein 3:1 in Duisburg.
+++ Mit mehr taktischer Disziplin CL-Platz sichern
Mit der Abfahrt des Mannschaftsbusses aus dem Gottlieb-Daimler-Stadion in Richtung Flughafen hat für die Grün-Weißen die Verarbeitung der 3:6-Niederlage beim VfB Stuttgart begonnen. Keine leichte Aufgabe für Jensen, Rosenberg & Co., weil die Partie schon ein Rückschlag im Kampf um die Meisterschaft war, nachdem die Bayern ihre Aufgabe gegen Karlsruhe souverän lösten. "Natürlich werden wir es weiter probieren, die Schale zu holen, aber nach dem Ergebnis heute wird es sehr schwer", prophezeit Daniel Jensen. Das weiß auch Sebastian Boenisch, doch abhaken will er seinen Traum noch nicht. "Die Saison
ist noch lang und wenn rechnerisch etwas geht, müssen wir dieses Ziel auch verfolgen", so der 21-Jährige, der sich ganz sicher ist, dass die letzten Negativ-Erfahrungen dem Zusammenhalt nicht schaden werden. "Es wird eine Scheißtour zurück nach Bremen, das kann sich jeder vorstellen, aber wir sind eine super Truppe, die das alles wegstecken wird und wieder aufsteht."
Das Comeback zum erfolgreichen Fußball traut auch Geschäftsführer Klaus Allofs der Mannschaft zu, bei der Zielsetzung allerdings, steht für ihn bis auf weiteres erstmal die Sicherung der Champions-League-Teilnahme ganz oben auf der Prioritätenliste. "Die Meisterschaft ist momentan nicht unser Thema, denn wenn wir auf die Tabelle schauen, sehen wir, dass die Champions-League-Plätze schwer genug zu erreichen sein werden. Da sitzen uns andere Teams sehr im Nacken."
Bei der Vorschau auf die nächsten Wochen beschäftigten Klaus Allofs am Samstagabend vor allem zwei Punkte. Einerseits die zu erwartende Sperre gegen Per Mertesacker und die taktische Disziplin der Mannschaft. "Wir machen es uns aber auch selbst schwer, konstant zu spielen, wenn wir immer wieder aufgrund von Platzverweisen etwas ändern müssen. Das schmerzt sehr", so Allofs, der auch nach dem 3:6 keine Abkehr von der offensiven Grundausrichtung der Grün-Weißen forderte. "Wir müssen disziplinierter in der Defensive sein, aber das hat nichts mit einer anderen Taktik zu tun. Oder glauben sie, es wäre abgesprochen, dass nach einer Ecke für uns plötzlich drei Gegenspieler auf einen unserer Verteidiger zulaufen."
So sieht es auch Thomas Schaaf, der weiterhin auf die offensive Grundausrichtung setzt. "Wir haben uns in der Spitzengruppe der Bundesliga festgesetzt, also müssen wir auch einige Dinge bis jetzt richtig gemacht haben. Natürlich gehen wir ein Risiko ein, wenn wir mutig nach vorn spielen und die Entscheidung suchen, aber wir dürfen die Defensive nicht vergessen. Wir haben heute drei Punkte verloren und wir werden sie uns im nächsten Spiel wiederholen - mit allem, was dazu gehört: Mit gutem Fußball und richtiger Defensivarbeit." Zuvor stehen aber erst mal ruhigere Stunden an. "Jetzt werden wir erstmal nach Bremen fahren und uns erholen. Danach sind wir froh, dass es schon am Donnerstag weitergeht", so Schaaf, der kämpferisch hinzufügte, "wir werden nicht aufgeben."
Wenn es am Donnerstag im UEFA-Cup weitergeht, dann können sich auch wieder junge Spieler wie Özil, Boenisch & Co. beweisen. Klaus Allofs freut sich darauf, denn er merkte auch an "wenn es einen positiven Aspekt in Stuttgart gab, dann den, dass einige junge Spieler sich richtig gut verkauft haben."
von Michael Rudolph und Felix Ileman
+++ Debakel in Stuttgart: Sechs Gegentore und Rot für "Merte"
Werder Bremen hat keine zwei Tage nach dem Uefa-Cup-Spiel in Glasgow erneut eine ganz bittere Niederlage einstecken müssen. Die Grün-Weißen verloren ein völlig verrücktes Spiel beim deutschen Meister VfB Stuttgart mit sage und schreibe 3:6 (1:2).
Schnelle Führung, schneller Ausgleich
Dabei begann alles so verheißungsvoll. Von Europapokal-Müdigkeit keine Spur, ergriffen die auf fünf Positionen veränderten Grün-Weißen im ausverkauften Gottlieb-Daimler-Stadion sofort die Initiative. Ganz anders die Stuttgarter. Die komfortable zehntägige Pause aufgrund des Spielausfalls am letzten Wochenende in Cottbus schien den Schwaben ganz und gar nicht gut getan zu haben. Beinahe minütlich deckten die Bremer die VfB-Schwächen im Defensivbereich auf. Und schnell fiel auch das erste Tor: Sebastian Boenisch, Tim Borowski und Markus Rosenberg kombinierten auf der linken Seite ungestört fast bis zur Grundlinie. Dort schlug Rosenberg eine klasse Flanke auf den zweiten Pfosten, wo Hugo Almeida seinem Gegenspieler Mathieu Delpierre entwischt war und gegen die Laufrichtung von VfB-Keeper Sven Ulreich einköpfte – 0:1 (9.).
Obwohl die Grün-Weißen auch in der Folge das Spiel dominierten, kam der VfB schnell zum Ausgleich – quasi aus dem Nichts. Ciprian Marica legte den Ball sehenswert per Hacke in den Lauf des durchstartenden Mario Gomez, den Naldo aus den Augen verloren hatte. Der Nationalstürmer nutzte seine Freiheit, umkurvte den herausstürzenden Tim Wiese und schob aus spitzem Winkel zum Ausgleich ein (20.).
Ärgerlich – aber ohne Schockwirkung für Werder. Im Gegenteil spielten die Grün-Weißen zunächst so weiter, als ob nichts passiert wäre. Allein Hugo Almeida hatte innerhalb von zwei Minuten zweimal das 1:2 auf dem Fuß. Zunächst hämmerte er den Ball an die Querlatte (21.), dann scheiterte er aus kurzer Distanz an Ulreich (23.).
Kalte Dusche vor der Pause
Aber auch die Stuttgarter kamen nach einer halben Stunde besser ins Spiel. VfB-Trainer Armin Veh wechselte früh aus und brachte Nationalspieler Roberto Hilbert für den Brasilianer Antonio da Silva. Ständiger Unruheherd aber blieb Mario Gomez, der Naldo einige Probleme bereitete und Wiese in der 30. Minute zu einer starken Parade zwang. Zwei Minuten vor der Halbzeit dann die erneute kalte Dusche für Werder. Wieder konterten die Stuttgarter im eigenen Stadion, und wieder bestrafte der kaltschnäuzige Gomez die Bremer für ihre Unzulänglichkeiten im Defensivverhalten. Nach gutem Pass von Marica lief der insgesamt schwache VfB-Regisseur Yildiray Bastürk auf und davon und spielte den Ball ungenau in Richtung Gomez, der Wiese trotzdem versetzte – 2:1.
Neue Halbzeit, altes Bild
Erstmals lag das Team zurück, das bis dahin wesentlich mehr Spielanteile besessen und auch die bessere Spielanlage gezeigt hatte. Nach der Halbzeitpause zunächst das gleiche Bild: Werder dominierte das Geschehen fast nach Belieben, Stuttgart stand tief in der eigenen Hälfte und blieb defensiv überaus anfällig. Doch erneut schlugen die Bremer aus ihrer spielerischen Überlegenheit zu wenig Kapital. Die besten Möglichkeiten vergab Hugo Almeida, der sein Ziel mit einer Direktabnahme und einem Kopfball jeweils haarscharf verfehlte (53., 59.). Es blieb Sebastian Boenisch vorbehalten, mit seinem ersten Tor im Werder-Dress für den längst überfälligen Ausgleich zu sorgen. Eingesetzt von Daniel Jensen, marschierte der 21-Jährige im Mittelfeld los, versetzte an der Strafraumgrenze zwei Stuttgarter und traf mit einem noch abgefälschten Schuss zum 2:2 (60.).
Doppelschlag durch Konter drei und vier
Freuen konnten sich die Grün-Weißen und ihr Anhang indes nur kurz, liefen sie doch nur fünf Minuten später in den nächsten Konter des VfB. Der inzwischen eingewechselte Cacau spielte einen mustergültigen Querpass auf seinen Sturmpartner Gomez, der seiner bärenstarken Leistung mit dem dritten Tor die Krone aufsetzte. Und es kam noch schlimmer. Keine 60 Sekunden nach dem erneuten Rückstand verloren die Bremer im Mittelfeld wieder einmal leichtfertig den Ball – und Stuttgart schaltete blitzschnell um. Diesmal legte Gomez für Cacau auf, der mit dem 4:2 die vermeintliche Vorentscheidung besorgte.
Danach bewies Werder Kraft und Moral, gab das Spiel noch nicht verloren. Und zunächst sah es so aus, als würden die Grün-Weißen am Ende vielleicht doch noch für ihre Dominanz belohnt. Nach Pass von Aaron Hunt schürte Markus Rosenberg mit einem platzierten Linksschuss ins linke untere Eck die Hoffnungen auf den neuerlichen Ausgleich (77.).
Zusammenbruch in der Schlussphase
Ausgerechnet der eingewechselte Ex-Bremer Ludovic Magnin zerstörte diese Ambitionen endgültig. Der Schweizer tanzte nacheinander Per Mertesacker und Tim Wiese aus und brachte den Ball von der Grundlinie scharf vor’s Tor. Was dann passierte, passte nahezu „perfekt“ zum überaus unglücklichen Auftreten der Bremer an diesem vermaledeiten Tag. Clemens Fritz wollte klären, schoss aber Per Mertesacker an, der gar nicht mehr anders konnte, als den Ball ins Tor abzufälschen. Und damit nicht genug, Werder brach nun völlig zusammen. Ein weiterer Treffer von Cacau (87.) und zu allem Überfluss noch eine Rote Karte gegen Per Mertesacker (89., Notbremse an Gomez) waren die traurigen Schlusspunkte eines denkwürdigen Bundesligaspiels.
von Kevin Kohues
VfB Stuttgart – Werder Bremen 6:3 (2:1)
VfB Stuttgart: Ulreich - Osorio, Tasci, Delpierre, Boka (64. Magnin) - Pardo - da Silva (28. Hilbert), Bastürk, Hitzlsperger - Gomez, Marica (61. Cacau)
Werder Bremen: Wiese - Owomoyela (58. Fritz), Mertesacker, Naldo, Boenisch - Baumann (58. Hunt) - Jensen, Borowski - Özil - Rosenberg, Almeida; auf der Bank: Vander, Vranjes, Pasanen, Harnik, Tosic
Tore: 0:1 Almeida (9.), 1:1 Gomez (20.), 2:1 Gomez (43.), 2:2 Boenisch (60.), 3:2 Gomez (65.), 4:2 Cacau (66.), 4:3 Rosenberg (77.), 5:3 Mertesacker (85. Eigentor), 6:3 Cacau (87.)
Schiedsrichter: Fandel (Kyllburg)
Gottlieb-Daimler-Stadion: 55.800 Zuschauer (ausverkauft)
Gelbe Karten: Bastürk, Cacau – Jensen, Hunt
Rote Karte: Mertesacker (89., Notbremse)
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