Samstag, 1. März 2008

Russland

Bis 6h "Lange Russische Nacht" auf WDR geschaut - es kamen noch viele kleine Einzelberichte über Schriftsteller und Künstler, von Journalisten und über die Arbeitsweise des KGB, von Aussteigern, die nur 300km weiter weg von Moskau eine bäuerliche und ländliche Koexistenz mit Dorfbewohnern aufbauen, Kurzbiografien von einer Ballerina, von einem Jungen aus dem Kaukasus, dessen Dorf von tschetschenischen Rebellen als Schutzschild missbraucht und völlig zerstört worden ist, über Völker in der Tundra, von obdachlosen Kindern, die Abfallreste sammeln um zu überleben, von einem Mädchen, die Gewichtheben trainiert und die ihre Stadt verlassen will, von Menschen in Moskau, die nichts kaufen können, weil die Regale einfach leer sind und von neureichen Russen, die in Antalya in der Türkei die Touristenviertel erobern und die Deutschen verdrängen.

Den meisten Berichten waren bis auf dem letzten eins gemeinsam: es geht einfach nur noch um das Überleben, ein trostloses Leben in den Alltag hinein, eine Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit und die Fehl- bis Desinformation der allermeisten Bürger. Viele Menschen waren trotz aller Armut und widrigen Verhälnissen stolz Russen zu sein, viele waren der Meinung, dass sie eigentlich gar nichts mit Russland am Hut haben und lieber selbständig und autonom sein wollen, das wäre vielleicht eine Chance, der bitteren Armut zu entkommen.

Besonders interessant war der Bericht der Aussteiger von Moskau, die anfangs mit Argwohn und Misstrauen von den Dörflern beobachtet worden sind. Da stieß städtischer Individualismus auf feste Tradition und ganz einfache Denkweise von Landbewohnern. Am Ende haben sich die handvoll Neuansiedler, Dörfler und Kolchosen allmählich zusammgerauft und u.a. Tauschhandel betrieben, weil die Zahlungen aus Moskau einfach ausblieben.

Die Moderation der Sendung führten zwei Frauen, und immer wurde die Frage gestellt, warum das Volk nicht rebelliert, warum es zu keine Aufständen kommt. Die allermeisten Menschen haben überhaupt keine Möglichkeiten sich zu organisieren, es gibt keine Gewerkschaften, keine strukturierten Organisationen, wo man Gehör findet und seine Kräfte bündeln kann, gerade die Menschen auf dem Land bekommen nur gelenkte Informationen aus dem Fernsehen zu sehen und aus den Zeitungen zu lesen.

Viele haben nach wie vor Angst, ihre wahre Meinung zu sagen, viele sagen aber auch: "...filmt uns, und zeigt der Welt, was sie mit uns machen !" Mir erscheinen die Menschen insofern aufgeklärt , als dass sie alle wissen und spüren, dass man sie im Stich gelassen hat. Sie sind desillusioniert und haben Hunger. Sie bereiten sich so gut wie möglich auf den Winter vor, so dass sie nicht erfrieren müssen. Es ist, als ob die schwindenden Kräfte und ein selbstverständlicher und seit Generationen übernommener Stoismus die Allermeisten an Ort und Stelle verharren lässt, wartend, dass die Dinge sich zum Besseren wenden. Nur die jungen Leute wollen weg, und träumen von gesicherten Verhältnissen mit einer eigenen kleinen Familie. Doch in diesen hoffnungsvollen Vorstellungen sagt die Mutter zur Tochter: "Wo willst du denn hin, in ganz Russland geht es doch den Menschen dreckig ?!"

Russland, die UDSSR, die Sowjet-Union, die GUS oder wie immer man dieses riesige Land nennen mag, hat, seit dem Zaren nicht einen Atemzug Zeit gehabt, seine Geschichte ehrlich und halbwegs umfassend aufzuarbeiten. Es gibt sogar noch sehr viele Orte, wo Leute sich eine falsche Vorstellung von Stalin machen. Das wäre so, als ob manche noch glauben, Hitler, Mao-Tse-Tung oder Gadaffi wäre gute Leute gewesen.

Unter dem Zaren gab es die Leibeigenschaft, und bis heute behandeln "höhergestellte" Russen ihre eigenen Landsleute in dieser menschenverachtenden Manier. Und das Interessante, die Menschen lassen sich das gefallen. Nur die wenigsten begehren auf, mit dem Risiko halb tot geprügelt zu werden, ins Gefängnis zu landen und andere Repressalien zu riskieren. Mütterchen Russland ist ein ein Land mit viel Potential, allein ca. 1,5 Millionen Beamte und Menschen, die die Macht an sich gerissen oder die Gunst der Stunde genutzt haben, um sich in unruhigen Zeiten, Geld und Posten zu sichern, beherrschen dieses Land mit Knüppel und Willkür.

Wie schon Lew Kopelew sagte: "Russland wird noch viele tiefe dunkle Stunden erleben, aber es bahnt sich immer mehr der Glaube und der Wille an die Oberfläche, dass die Menschen in Selbstbestimmung und in einer Demokratie miteinander leben wollen und können."

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